** Was ankommen lassen bedeutet… **

„Lasst den Hund bitte erst mal ankommen.“ – „Na klar! Versteht sich doch von selbst.“

„Habt bitte für die erste Zeit keinerlei Erwartungen.“ – „Ja, das ist uns bewusst.“

„Geht bitte erst mal davon aus, dass es eine harte erste Zeit werden wird und es Kraft und Geduld in Anspruch nimmt, wenn der Hund neu bei euch ist.“ – „Ja, das ist kein Problem. Das haben wir so eingeplant….“

Nichts versteht sich von selbst. Auf einmal gibt es ganz viele Probleme und man ist sich doch gar nicht mehr so bewusst, was alles nicht gut laufen kann. Und schon wird es schwierig.

Manchmal fühlt eine Vermittlerin sich so, als ob sie niemals vorab beraten und aufgeklärt hätte.

Als ob sämtliche Informationen im Nirvana versickert sind.

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„ICH bin ein Hund aus dem Tierschutz und passe nicht so richtig, Ich sei anders als beschrieben…

Ich muss als Hund ab Tag 2 spätestens an der Leine laufen, sonst wird es schon schwierig.

Wenn Ich am Tag 4 immer noch in die Bude mache, werden die Nerven dünn.

Wenn Ich in Woche 3 immer noch beim Autofahren den Mageninhalt von mir gebe, ist die Geduld am Ende.

Wie viel Zeit gesteht man mir ein? Ab wann muss es rundlaufen?

Manche Menschen scheinen da sehr genaue Vorstellungen zu haben und sind bitter enttäuscht und nervlich am Ende, wenn es eben ganz anders läuft als geplant.

Dabei wird es ab Woche 6, 7, 8 erst so richtig spannend. Futter gibt es jeden Tag, Sofa ist auch schon erobert, Territorium abgesteckt, Nachbarschaft ausgekundschaftet. Ausgeschlafen, satt, keine nervigen Milben mehr.

Volle Kraft voraus.

Eine Direktadoption aus dem Ausland ist nichts für schwache Nerven. Nichts ist wirklich planbar. Ich bin eine Wundertüte, ein Wagnis, eine Herausforderung. Viele Menschen machen das ganz wunderbar und sind in der ersten Zeit DAS für mich, was Ich brauche: Stütze, Ruhepol, Organisator.“

Manche Menschen können sich aber ansatzweise nicht vorstellen, was da alles auf einen zurollen kann. Natürlich beraten Vermittlerinnen. Natürlich klären sie auf. Natürlich stehen sie helfend zur Seite. Aber es reicht alles nicht aus.

In manchen, ganz wenigen Fällen, ist es wirklich so, dass die Lage Zuhause nicht mehr tragbar ist. Dass es ganz und gar nicht passt. Aber diese Fälle sind selten. In den meisten Fällen wird vorschnell aufgegeben, vorschnell gesagt: Es geht nicht mehr. Es ist unbequem, anstrengend, nervig. Ich bin gerettet. Und Ich bin eben nicht dankbar. Ich führe mich auf wie die Axt im Walde, krempele das Leben völlig um und eigentlich kostet es nur Nerven. So wie man es sich eigentlich nicht vorgestellt hat.

Und der Mensch ist nicht gemacht, um sich durch schwierige Situationen durchzuboxen.

Der Mensch ist bequem.

Diese eher bequeme Natur, die auf maximal schöne Momente im Leben ausgelegt ist, puscht mich dann in den ersten Tagen so sehr, dass gar nichts mehr geht. Ich, der frisch angekommen ist und mit 1000 Umweltreizen nun umgehen muss (die Ich vorher nicht mal ansatzweise kannte), werde nun gefördert und gefordert, wo es nur geht.

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„Liebe Leute, lasst mich einfach in der ersten Woche in Ruhe. Ich möchte schlafen. Ich möchte das Zuhause und den Garten inspizieren. Ich möchte die Menschen und ggf. Tiere kennenlernen, mit denen Ich das neue Leben nun teile. Vielleicht war Ich auch schon beim Tierarzt, aber mehr muss gar nicht sein. Vorher war monatelang wenig am Tag los. Zwinger, Hütte, Gekläffe. Mal eine Klopperei.

Einmal am Tag Futter und Wasser. Fertig. Das war‘s. So sah es Wochen, Monate, Jahre bei vielen Kollegen aus.

Jetzt stellt euch doch einfach mal vor, wie dann so der neue Tag in Familie x für MICH aussieht:

Morgens erstes Gassi. Neue Runde, wird ja sonst langweilig.

Mit Sicherheitsgeschirr an Leine. Hundemarken klimpern. Ich rieche nicht wie sonst, Shampoo beeinträchtigt die Nase. Beim Gassi trifft man Nachbarn, der mich anfasst. Ich finde Nachbarn blöd. Es geht nach Hause. Futter. Vor dem Füttern muss Ich sitzen und warten. Kapier‘ Ich nicht. Werde wieder aus der Küche geschickt. Soll ja im Flur warten. Frustiert. Nach dem Füttern noch mal kurz raus in den Garten.

Eine Stunde später. Ich döse gerade im Wohnzimmer. Tochter bekommt Besuch. Kinder toben durchs Haus. Ich verfolge Kinder. Finde die lauten Schreie besorgniserregend. Springe Besucherkind an. Dieses fällt hin. Vater nimmt mich am Halsband, führt mich ins Arbeitszimmer, wo ich warten soll.

Im Arbeitszimmer endlich Ruhe. Ich döse auf Schreibtischstuhl. Erhöhte Position ist wichtig, hat auch schon in Ungarn entspannt.

30 Minuten später werde Ich abgeholt von Mutter. Große Runde steht an. In den Wald. Mit dem Auto. Wieder ins Geschirr. Marken nerven immer noch. Auto steht in Garage. Garage ist gruselig. Ich werde in Autobox gesetzt, da Ich nicht in einen dunklen Kofferraum springe, da Ich nicht weiß, was dort für Gefahren drohen könnten. Fahrt zum Wald. Mir ist schlecht. Box ist dunkel, Ich kann nicht nach draußen schauen. Ankunft im Wald. Zum Glück nicht gekotzt. Frauchen atmet auf. Schleppleine an Geschirr, Ich werde ausgeladen. Freilaufende Hunde direkt am Parkplatz. Ich werde penetrant gemustert und bedrängt. Frauchen unterhält sich angeregt. Es geht los in den Wald. 40 neue Gerüche auf 1qm! Hundenase völlig überfordert. Ich bleibe ständig stehen, Frauchen ist genervt. Jogger von hinten. Ich will folgen, Frauchen tritt auf Schleppleine… Endlich wieder nach 1,5 Stunden am Auto. Ich bin völlig aufgekratzt und nervös. Fahrt nach Hause. Garage immer noch gruselig. Ich muss abgeduscht werden, voller Matsch aus dem Wald. Ich in Badewanne. Kriege Panik, alle sind nass.

Ich renne nass bis ins Wohnzimmer und springe auf Couch, wo Töchter Fernsehen schauen. Alle regen sich auf. Ich werde auf meinen Platz geschickt. Kriege ein Schweineohr. Sowas hatte Ich noch nie. Begeisterung… Fernseher ist aus. Kinder sitzen bei mir, schauen zu, wie Ich kaue. Tochter streichelt mich.

Ich knurre leise. Tochter streichelt weiter. Ich knurre lauter und drohe. Tochter ist irritiert und verharrt kurzzeitig. Ich schnappe nach Hand der Tochter. Familie ist panisch bis besorgt. Abends Krisensitzung. Entschluss fiel schwer, ist aber gefasst.

ICH passe nicht zur Familie und soll zeitnah vom Verein weitervermittelt werden.“

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Eine Vermittlerin weiss, dass es bei ganz vielen Menschen ganz ganz toll läuft. Aber es ist noch zu viel im Argen.

viele Hunde sind unverstanden, überfordert…Von ihnen werden in so kurzer Zeit so viele Dinge verlangt, die utopisch sind! Kein Hund der Welt kann das schaffen, wenn sein Leben vorher eintönig, trist und leer war. So viel Input verkraftet keiner. So viel Neues schafft keiner, ohne irgendwann überzuschnappen.

Lasst sie die ersten Wochen einfach ganz in Ruhe ihre neue Welt entdecken. Lasst ihnen Zeit. Haltet viele Reize aktiv von ihnen weg…schützt sie und stabilisiert sie. Es ist unfair zu behaupten, dass der Hund sich „schlecht“ verhält, wenn er gar nicht anders kann.

Und horcht in euch rein. Wenn ihr nicht sicher seid, dass ihr die Nerven, die Zeit und die Kraft habt, alle eventuell anlaufenden Probleme zu wuppen, dann lernt doch einen Hund direkt in Ungarn kennen oder auf einer Pflegestelle in Deutschland…

Ja, das erfüllt das „Retter-“ Herz nicht so sehr…wir wissen um diese Symptomatik. Aber bitte seid realistisch.

(Quellentext von Anna Langhammer)